Am 10. September 2001, einen Tag vor dem denkwürdigen Attentat auf die Türme des World Trade Centers und das Pentagon am 11. September 2001, wurde in der Gemeinde Pulow im Landkreis Ostvorpommern ein Herbizid-Unfall entdeckt: Beim Ausbringen des Pflanzengifts „Brasan“ auf Winterraps-Flächen durch das regionale Agro-Industrieunternehmen Peeneland Agrar GmbH (ein LPG-Nachfolgebetrieb, der 5.000 Hektar bewirtschaftet) hielt sich der Wirkstoff Clomazone nicht an die von seinem Hersteller behaupteten technischen Eigenschaften: Anstatt den Vorstellungen des Herstellers Syngenta Folge zu leisten und ausschließlich die „Unkräuter“ auf dem gespritzten Feld zu töten, wanderten die Giftmoleküle über das ganze Land und verheerten die Pflanzen des ökologischen Kräuteranbaubetriebs „Kräutergarten Pommerland“ sowie die privaten Gemüsegärten der Einwohner des Ortsteils Klein Jasedow. Ob der Betrieb beim Ausbringen des Herbizids ordnungsgemäß vorgegangen ist oder nicht, ist noch nicht geklärt. Fest steht aber, dass das Mittel in nachgewiesenen Fällen auch bei korrektester Einhaltung des Anwendungsvorschriften aus dem Ruder gelaufen ist. Auch die Peeneland Agrar GmbH durfte sich in gutem Glauben darauf verlassen, dass bei richtiger Anwendung kein Schaden entstehen würde.

Schnell wurden weitere Fälle in ganz Mecklenburg-Vorpommern bekannt. Es waren weitere Bio-Betriebe betroffen, und auch aus Mitteln wie „Cirrus“ (ebenfalls Syngenta) und „Nimbus“ von BASF hatte sich das Clomazone selbständig gemacht. Schließlich wurde bekannt, dass die Probleme mit dem Wirkstoff Clomazone praktisch in allen Regionen mit Großagrarindustrie aufgetreten waren. Allein in M-V wurden 56 gemeldete Fälle untersucht. Bei einem Hearing in der Bundesanstalt für Pflanzenschutz im Februar 2002 wurde von Havarien aus ganz Deutschland (mit deutlichem Gefälle von Nord nach Süd), aus Polen und aus Dänemark explizit berichtet. Es wurde auch zugegeben, dass die Probleme schon in den Jahren 1999 und 2000 aufgetreten seien, wenn auch in geringerem Umfang.

Ungeachtet dieser globalen Tragweite reduzierte Landwirtschaftsminister Till Backhaus auf einer Veranstaltung des alternativen Bauernverbands ABL den Brasan-Skandal auf ein „Vorkommnis auf 1.200 Qadratmetern“ und verhöhnte damit alle Menschen, die von der Havarie betroffen waren und zum Teil gravierende finanzielle Folgen zu tragen hatten. Aufgrund dieser Rückendeckung gelang es Mitarbeitern des Agrarbetriebs, der in der Gemeinde Pulow den Schaden verursacht hatte, gegen den Gemeinderat, den Bürgermeister, die ökologisch wirtschaftenden Betriebe und alle NeubürgerInnen eine massive Mobbing-Kampagne in Gang zu setzen. Es wurde behauptet, die „zugezogenen Ökos“ wollten die konventionelle Landwirtschaft zerstören und die Arbeitsplätze vernichten, alle Bürger sollten zum Bio-Anbau gezwungen werden und man dürfe bald kein privates Eigentum mehr besitzen. Man verstieg sich zu dem Vorwurf, der Bio-Betrieb habe das Gift selbst ausgebracht, um damit den LPG-Nachfolgebetrieb zu schädigen. Die Personen, die auf den Chemie-Unfall aufmerksam gemacht hatten, wurden als Sekte verleumdet, und in einem weit verteilten Flugblatt wurde zur Vertreibung der „Zugezogenen“ aufgerufen. Einflussreiche Regionalpolitiker und sogar die Landrätin schlossen sich dem Mobbing an und forderten öffentlich den Rücktritt der demokratisch gewählten Gemeindevertretung, weil sie es gewagt hatte, die öffentliche Aufarbeitung des Chemie-Unfalls zu unterstützen. Trotz vielfacher Vermittlungsbemühungen, u.a. durch einzelne Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums und des Landwirtschaftsamts, durch die Kirche und einzelne engagierte Bürgerinnen und Bürger wurde die Kampagne unvermindert fortgesetzt und fand bei den Kommunalwahlen am 13. Juni 2004 ihren vorläufigen Höhepunkt: Die Mehrheit des derzeitigen Gemeinderats besteht nun aus den führenden Mitgliedern des nach dem Skandal von dem – notabene ortsfremden – Agrarunternehmen mitgegründeten „Heimatvereins“.

Vor diesem Hintergrund beschränkte sich die Bürgerinitiative Landwende seither auf reine Beobachtungen und enthielt sich der öffentlichen Stellungnahme, um nicht weiter als „organisierte Kriminelle“ verleumdet zu werden.

Auf diesen Seiten finden Sie eine umfassende Dokumentation der Clomazone-Havarie sowie eine Fortschreibung der Beobachtungen. Darüber hinaus gehende Stellungnahmen werden gerne im persönlichen Gespräch abgegeben.