Kritik an einem totalitären Ansatz

Die durch die Bioökonomie erstmals auf den Begriff gebrachte Umwertung von Leben in eine beliebige handel- und verhandelbare Ware findet vor unseren Augen in aller Öffentlichkeit statt, und wir alle sind direkt und indirekt daran beteiligt. Das heißt aber auch, dass es an uns liegt, dieser unheilsamen Entwicklung Einhalt zu gebieten.

Man sagt, der beste Trick des Teufels war es, der Welt weiszumachen, es gäbe ihn gar nicht. Einen teuflisch cleveren Winkelzug ersonn auch der von der Bundesregierung eingerichtete „Bioökonomierat“: Angesichts der begrenzten gesellschaftlichen Akzeptanz von Gentechnik, Massentierhaltung und Monokulturanbau wurde die totale Kapitalisierung des Lebensin „Bioökonomie“ umgetauft. Dieser wohlklingende Name hat nichts mit gutem Leben zu tun, sonder bezeichnet „die Umwertung alles Lebendigen auf den Rohstoff ‚Biomasse'“.

Nachzulesen ist diese verheerende Entwicklung in Franz-Theo Gottwalds und Anita Krätzers brisanter und aufschlussreicher Schrift „Irrweg Bioökonomie“. Bei aller Dringlichkeit und persönlichen Betroffenheit ist ihre „Kritik an einem totalitären Ansatz“ sorgfältig recherchiert und argumentiert. Sie zeichnet unheilvolle Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und Forschung nach und deckt Infiltration und Desinformation auf. So entlarvt das Autorenduo das Vokabular der Bioökonomie als Orwell’sches „Neusprech“: aus „Lobbyist“ wird „Politikberater“, aus „Mitgeschöpf“ „Nutztier“, aus „Ackergift“ „Pflanzenschutzmittel“, aus „Genmanipulation“ „Biotechnologie“, aus „Pflanze“ „Bioenergiemasse“ … Mit schönfärberischen Worten und demagogischen Parolen wird die Bioökonomie als alternativlos deklariert. Dabei gibt es durchaus Alternativen, wie Michael Braungarts „Cradle to Cradle„-Prinzip, Gunter Paulis „Blue Economy“ und Karl Ludwig Schweisfurths „Symbiotische Landwirtschaft„, die zu ignorieren „politisch fahrlässig“ wäre, resümieren die Autoren.

Franz-Theo Gottwald und Andrea Krätzer eröffnen eine überfällige Debatte. Dafür gebührt ihnen Dank und Respekt – und auch dafür, dass sie ihr Buch das sachgerecht die Realpolitik herausfordert, auf ethischen Überlegungen begründet, vor denen ihr persönlicher Schmerz über die Entwicklung erkennbar wird. Die Frage, auf welcher ethischen Grundlage eine Gesellschaft gedeihen könnte, ihr Leben nicht ausbeutet, sondern fördert, steht somit im Raum. Eine solche – noch zu verfassende – Ethik wäre eine dringend benötigte Ergänzung zu dieser mutigen und augenöffnenden Streitschrift.

Quelle
Rezension von Matthias Fersterer in: Oya, Ausgabe 27

Suhrkamp Verlag
https://www.suhrkamp.de/buecher/irrweg_biooekonomie-franz-theo_gottwald_26051.html

Autoren
Anita Krätzer, Franz-Theo Gottwald

Kategorien: Bücher