Die Arbeit mit Zugtieren ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Silke Hagmaier zieht obendrein großen Genuss aus der Kooperation mit ihren Haflingerpferden.

Massige Muskeln bewegen sich kraftvoll und gleichmäßig vor mir im Takt ruhiger Schritte. Das Schnauben der Pferde verklingt im Herbstnebel, wohliger Geruch steigt von dampfenden Pferdekörpern auf. Ich atme die feuchte Herbstluft so herzhaft und gründlich ein wie das Aroma der Arbeitspferde, vermischt mit dem Geruch frisch gepflügter Erde.
Drei Monate später stehe ich im Wald, meine Handschuhe sind durchnässt, meine Finger schmerzen vor Kälte. Es fängt an zu nieseln. Der gefällte Stamm ist am Boden festgefroren, und ich wühle im Schnee und im Waldboden unter Einsatz all meiner körperlichen Kräfte. Endlich hängt der Stamm an der Rückekette und diese an den Pferden. Ich versuche, die Pferde langsam anziehen zu lassen, aber die Äste schlagen ihnen ins Gesicht, so dass ich sie nur schwer halten kann. Meine Brille ist nass, ich stolpere über abgeschnittene Baumkronen, und auch mir fliegen die Äste ins Gesicht. Den ganzen Vormittag muss ich die beiden Haflinger einerseits maßregeln und andererseits durch viel Lob bei der Stange halten.

Diese Szenen spielen sich weder in Rumänien noch Peru ab, sondern im Ökodorf Sieben Linden. Mit bewusst gewählter Einfachheit betreibe ich dort die Fuhrhalterei »Frühwach«. Mein Gewerbe beinhaltet vor allem die Bodenbearbeitung für den Gemüsebau der Gemeinschaft sowie die Zugarbeiten im dorfeigenen Wald für Brennholz- und Bauholzgewinnung. Darüber hinaus unterrichte ich pferdegerechte Kommunikation. Es ist mir ein Anliegen, den Umgang mit dem Arbeitspartner Pferd respektvoll und kooperativ zu gestalten, so dass beide Seiten von der Beziehung profitieren.

Die Arbeit mit Pferden ist meine Art der Meditation: Die Konzentration auf die gemeinsame Arbeit, die Entspannung in der Ausrichtung unserer Kräfte, die beständige, fast unsichtbare Kommunikation zwischen uns dreien – und zugleich die geschärfte Wahrnehmung für die Naturbewegungen um uns herum. Für die Feldmaus, die aus der frisch gezogenen Furche flieht, für den Ruf der Nebelkrähe über uns, für den Wind, der über mein feuchtes Gesicht streicht. All das ist mein »Bad im Jetzt«.

Pferdearbeit schützt eine unserer wichtigsten Ressourcen

Die Pferdestammbesatzung in der Fuhrhalterei sind eine Stute und ein Wallach. Letzterer (»Odin«) ist ein Fels in jeder Brandung, und unsere einzigen Konflikte drehen sich um das Thema Futter. Das macht ihn vollkommen unbestechlich in seiner Bestechlichkeit – für ein Stück Brot tut er alles, und genauso lässt er für ein Maul voll Gras alles fahren, natürlich auch jeden Gedanken an Arbeit. Seine Halbschwester »Freya« regt sich im Zweifelsfall lieber mal auf als ab. Mit diesem Temperament zieht sie aber den Karren auch alleine aus dem Dreck, wenn es sein muss. Wann es sein muss, weiß sie genau. Beide Pferde kennen und verstehen ihre Arbeit gut in all ihren Facetten. Sie sind echte Allrounder und ziehen so ziemlich alles, was die Menschen jemals an Tiere gehängt haben: Planwagen, voll beladen mit angeheiterten Gästen (Tourismus), den Pflug, die Egge, die Hacke, den Häufler, das Vielfachgerät, den Grubber, den Kartoffelroder und den Striegel über den Acker (Gemüsebau); Brennholz und Baustoffe oder auch Möbel auf diversen Karren (Speditionsbetrieb); Holzstämme aus dem dorfeigenen Wald (Forstwirtschaft); Miststreuer, Grasmäher, Heuwender und -schwader und auch schon mal einen Mähbinder oder einen Göpel, der das Getriebe für den Dreschkasten antreibt (Landwirtschaft). Im Winter ziehen wir die Kinderschlitten, und wenn wir Urlaub haben, gehen wir zusammen schwimmen in Seen, zu denen wir reiten oder mit dem Planwagen fahren (Familienurlaub).

Das Leben mit Pferden ist rhythmisch, eingebettet in tageszeitliche und jahreszeitliche Abläufe, mit denen sich die Tätigkeiten, das Haarkleid, die Fütterung und vieles mehr ändert. Pferde geben mit ihren Bedürfnissen eine tägliche Routine vor, 365 Tage im Jahr. Tierhaltung ist Menschenhaltung – mit allen Vor- und Nachteilen. Tierhalter sind Sich-bereit-Halter, eingebunden in schöne, aber unabwendbare natürliche Prozesse und angebunden in der unerbittlichen Enge, die durch die Bedürfnisse der Tiere vorgegeben ist. Meine Motivation für all das? Ein Teil ist recht sachlich begründet: Die Alternative zum Zugtier auf dem Acker wäre bei uns ein riesiger Traktor, im Wald ein ebenso riesiger »Harvester«, beide tun dem empfindlichen Boden und Ökosystem so gut wie eine Elefantenherde einer Blumenwiese. Diese Maschinen fressen Öl, das in den erforderlichen Mengen nie für alle Menschen reichen wird (egal ob Erdöl oder Biodiesel); sie belasten die Umwelt mit Lärm und Abgasen und befahren die gesamte Oberfläche unseres Planeten, als wäre alles eine große Autobahn – dabei verdichten und vernichten sie die oberen wenigen Zentimeter Ökosystem namens »Mutterboden«, von dem das gesamte Pflanzen- und damit alles Tier- und Menschenleben abhängig ist. Ein Drittel des Mutterbodens ist seit der Einführung der industriellen Landwirtschaft weltweit bereits verlorengegangen. Der Mutterboden ist meines Erachtens das größte Stiefkind in unserem ökologischen Bewusstsein. Das Bodenschutzgesetz in Deutschland verfügt über keinerlei Belastungsgrenzen; nach dessen ideellen Inhalten dürfte aber kein Traktor je einen Acker und kein Harvester je einen Waldboden befahren.

Aber bedeutet Pferdearbeit nicht ein Zurück ins Mittelalter? Das gängige Vorurteil lautet: Pferdearbeit ist rückständig, naiv, uneffektiv, unproduktiv, zu teuer, davon kann kein Mensch leben. Und überhaupt: Man kann die technische Entwicklung nicht einfach rückgängig machen, schließlich haben Maschinen der Menschheit Reichtum und Überlebenssicherheit gebracht.
In unserer Gesellschaft liegt diese Argumentation nahe, deshalb hier als Kontrapunkt zum Nachdenken einige Ansätze, die in eine neue Richtung weisen:

Der Begriff der Rückständigkeit beinhaltet das Bild, auf die Vergangenheit und nicht auf die Zukunft ausgerichtet zu sein. Aber was ist eine zukunftsweisende, also nachhaltige und krisenfeste Land- und Forstwirtschaft? Der Weltagrarbericht der WTO fordert generell Regionalität, vor allem Energieautarkie für die einzelnen Betriebe, er fordert die regional produzierende Landwirtschaft, den ökologischen Betrieb, der kleinbäuerlich, arbeitsintensiv und vielfältig strukturiert ist – das Gegenteil der modernen Bewirtschaftung. Paul Starkey von der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), der globale Spezialist zum Thema »tierische Anspannung«, kommt nach jahrzehntelanger globaler Forschung zu dem Schluss, dass die Einführung von Traktoren, global betrachtet, in weiten Teilen der Welt nicht den Reichtum, sondern die Armut vergrößert hat. Er schlägt daher vor, landwirtschaftliche Forschungsgelder zuallererst in die Weiterentwicklung der tierischen Anspannung und in die Ausbildung von Fuhrleuten zu investieren.

Die Amish People in den USA machen es uns vor: Sie haben die Zugpferdetechnik weiterentwickelt und sind mit ihrer Pferdelandwirtschaft (ohne Subventionen) ökonomisch völlig stabil, während ihre konventionell arbeitenden Nachbarn meist am Rande ihrer Existenzfähigkeit wirtschaften.

Maschinen wie Traktoren haben Reichtum und Überlebens­sicherheit in unsere Teile der Welt gebracht. Aber wir (ver)brauchen dafür den größten Teil der globalen Ressourcen. Dieses Modell ist nicht übertragbar. Und was genau bedeutet eigentlich Ineffizienz? Die Ertragssteigerung unserer modernen Landwirtschaft zwischen 1920 bis 1990 betrug 50 Prozent. Die dafür nötige Steigerung des Energieverbrauchs betrug 400 Prozent. Die verwendeten Energieträger sind endlich und belasten das Klima. Die moderne Landwirtschaft benötigt bis zu 500 Kalorien, um eine Nahrungskalorie zu erzeugen. Vergleichszahlen für traktorlose Landwirtschaft sind nicht bekannt, hier fehlt die Forschung. Aller Wahrscheinlichkeit nach beträgt sie aber nur einen Bruchteil des heute Üblichen. Auch ein Zugtier braucht Energie – dafür frisst es Pflanzen. Ein Arbeitspferd kann in seinem Arbeitsleben 60 000 Liter Diesel sparen.

Wenn sich der Pferdefrieden einstellt

Neben all dem liegt die eigentliche Motivation für meinen Beruf jedoch viel tiefer. Ich möchte das Zusammensein mit den Pferden nicht missen. Es ist so reichhaltig und schön, dass ich in manchen Momenten fast neidisch werde auf mich selbst.
Da sind die lebendigen, berührenden und herausfordernden Prozesse mit ihnen – ein Dialog, der die besten Seiten in mir zum Klingen bringt. Ich erfahre die direkte Sinnhaftigkeit meines eigenen Handelns als Genuss: Wenn das mit den Pferden geerntete Holz die Brennholzstapel füllt, wenn das Gemüse vom Pferdeacker den Gemüsekeller füllt. Die zeitlose Ästhetik: Wenn der Anblick der Pferde Alte und Junge verzaubert, während wir unsere Kreise auf dem Acker ziehen im jahrtausendealten Kontinuum. Auch das Gefühl nach der Arbeit ist ein Segen: Mein Körper ist müde, aber nicht erschöpft, und mein Geist schwingt ruhig, dreht sich aber nicht gelangweilt im Kreis. Wunderbar ist es auch, darum zu wissen, einen erholten Ackerboden, einen lebendigen Waldboden, saubere Luft und ausreichende Ressourcen für die Nachwelt zu hinterlassen. Am tiefsten beglückt mich der unerklärliche wie unausweichliche Genuss, in der Arbeit mit den Pferden im Hier und Jetzt zu sein. Denn wer sich von Herzen auf die Pferde einlässt und sich natürlicher Autorität bedient, um sie zu führen, statt sie zu zwingen, den bringen sie an den magischen Hier-und-Jetzt-Ort, der ihre Heimat ist. In ihrem Reich wohnt auch das tiefe Gefühl von Zufriedenheit – von Frieden. Eine Art von Frieden, die keinen Anlass braucht als das Leben selbst; eine Art von Tiefe in der Präsenz, die bei dieser sogenannten Arbeit immer gleich um die Ecke ist.

Quelle
Oya – anders denken. anders leben, Ausgabe 12
http://www.oya-online.de/article/read/576-nachhaltige_freu_n_de.html

Autor
Silke Hagmaier
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Kategorien: Humusrevolution