Die Biodiversität ist bedroht – in ganz Europa. Durch neue Gesetze sollen die traditionelle bäuerliche Vermehrung von Samen, deren Verwendung und Verkauf stark eingeschränkt werden. Dagegen kämpft seit Jahren das südfranzösische »­Collectif des Semeurs du ­Lodvois-Larzac.

Tarassac – ein Weiler im Orb-Tal in Südfrankreich, im regionalen Naturpark Haut Languedoc. Yves Giraud, pensionierter Gemüsegärtner und leidenschaftlicher Samenvermehrer, machte dort vor Jahren eine wegweisende (Wieder-)Entdeckung: die »Oignon doux de Tarassac« – eine milde Zwiebel, sozusagen der Cousin der geschützten Zwiebelsorte »Doux des Cévennes«, die allseits als traditionelle Sorte bekannt ist. Nur konserviert sich Girauds milde Zwiebel besser als ihre Verwandte. Für den Biopionier ist das eine wichtige Eigenschaft. Ohne seine hartnäckige Suche wäre die Zwiebel wohl in Vergessenheit geraten, gar verschwunden. Doch nun kehrte sie auf die Teller der Lokalbevölkerung zurück.
Die Oignon doux de Tarassac spielt eine zentrale Rolle in den Bestrebungen des Vereins »Collectif des Semeurs du Lodévois-Larzac«, der sich für die Erhaltung der lokalen Gemüsevielfalt einsetzt. Ende Januar organisierte das Kollektiv zum zweiten Mal ein winterliches Saatgutfest in der Kleinstadt Lodève. Giraud hatte die Zwiebel mitgebracht, um sie anderen Gärtnerinnen zur Vermehrung zu übergeben. Denn nur durch ständige Wiederaussaat – insbesondere in Amateurgärten – kann eine Sorte nachhaltig vor dem Aussterben bewahrt und ihre genetische Variabilität aufrechterhalten werden. Beim Saatgutfest in ­Lodève wurden erstmals auch Samen der besonderen Zwiebel verkauft. In den Handel gelangt sie außerdem über zwei kleine französische Biosaatgutvertreiber.
 

Erfolgreiche Besetzung in Paris

Die beiden Biosaatgutvertreiber und das Kollektiv bewegen sich mit ihren Bestrebungen in einer rechtlich umstrittenen Situation. In Frankreich wird aktuell das Gesetz »sur les contrefaçons« verschärft. Plagiate geistigen Eigentums oder das Fälschen von Markenprodukten sollen künftig härter bestraft werden. In dieses Gesetz wollte die Regierung anfänglich auch das Saatgut hineinpacken – was für viele Bäuerinnen völlig inakzeptabel war. Nach der Besetzung des Sitzes der Nationalen Saatgut- und Pflanzengruppierung (GNIS) in Paris durch die links-ökologische Bauerngewerk­schaft »Conféderation paysanne« konnte ein Zugeständnis der Regierung erzwungen werden, so dass »Farm-Sämereien«, also das auf vielen Bauernhöfen seit Jahren verwendete und multiplizierte Saatgut, dessen Ursprung einmal zertifizierte, gekaufte Samen waren, nicht unter das Gesetz fallen; allerdings gilt dies vorerst nur für 21 Arten. Alle anderen Sorten, darunter auch die alten »bäuerlichen Sämereien«, die auf den Höfen mitunter seit Jahrhunderten verwendet, vermehrt und getauscht werden und die meist aus der Zeit vor der varietalen Selektionierung der Sorten im 19. Jahrhundert stammen, fallen unter das 2011 verabschiedete Gesetz, das für jede Sorte ein Zertifikat fordert. Wer also die nicht zertifizierte milde, alte Zwiebelsorte vertreibt, bewegt sich außerhalb der Legalität, weil diese nicht im Samenkatalog des GNIS aufgeführt ist. Sie dort zu registrieren, wäre auch ein teures Unterfangen. Aus diesem Grund kämpft die Bauerngewerkschaft mit ihren Verbündeten weiter. Denn nur durch eine Anpassung der Patentierungs- und Zertifizierungsregelungen im bevorstehenden neuen Landwirtschaftsgesetz kann die Gemüsevielfalt gerettet werden.
Die Gesetze, die derzeit verschärft werden sollen, zeichneten sich schon seit Jahren ab: Bereits 1961 gründeten mehrere große Saatguthersteller den internatio­nalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV), der noch heute den Aufbau eines Monopols im Saatgutmarkt verfolgt.

Vor 50 Jahren war die Bauernschaft zwar noch gewöhnt, das verwendete Saatgut selbst herzustellen. Doch die Anbauflächen vergrößerten sich rasch, und bald stieß die Sortierung des Saatguts an technische Grenzen. 1983 sank der garantierte Preis für Weizen in Frankreich, während der Preis für das Saatgut stieg. Deshalb boten immer mehr Unternehmen und Kooperativen an, das Saatgut auf Bauernhöfen vor Ort und nach Wunsch zu sortieren.
Der Verkauf und die Verwendung von zertifiziertem Saatgut ging daraufhin deutlich zurück, was die Saatguthersteller beunruhigte. Zusammen mit dem Landwirtschaftsministerium unterzeichneten das GNIS und die konservativ-rechte Bauerngewerkschaft FNSEA 1989 das »Abkommen vom 4. Juli«. Mit diesem sollte künftig der florierende Sortierungsservice verboten werden – eine Hiobsbotschaft für die französische Landwirtschaft. Millionen von Bauern und Sortierer wehrten sich erfolgreich gegen das Abkommen, doch nur zwei Jahre später, auf der vierten UPOV-Konferenz in Genf, insistierte Frankreich und versuchte, ein totales Verbot für die Farm-Sämereien einzuführen – zunächst ohne Erfolg. 2011 nahm aber das französische Parlament schließlich die UPOV-Forderung an, ein Zertifizierungsobligatorium auf alle angebauten Sorten einzuführen, das die Bauern dazu zwingt, die Verwendung von zertifiziertem, gekauftem Saatgut nachzuweisen.
 

Nicht nur die Landwirtschaft ist betroffen, sondern wir alle

Am Saatgutfest in Lodève klärte Michel Metz, Administrator des Biodiversitätsnetzwerks »Réseau Semences Paysannes«, die Anwesenden über den aktuellen Stand der Dinge auf und informierte über die laufende Kampagne zum Erhalt der Artenvielfalt, die sich für ein Gesetz engagiert, welches das überlieferte alte Wissen der Bauern durch die Befreiung der bäuerlichen und der Farm-Sämereien verankern soll. »Wir müssen uns gegen die Aneignung des Lebendigen durch die Saatgut- und Biotech-Firmen wehren!«, agitierte Metz. 2010 hätten die zehn größten Saatgutfirmen – allen voran Syngenta, Bayer Crop und Monsanto – mehr als 75 Prozent Anteil am gesamten Saatgutweltmarkt besessen. Zum Vergleich: 1985 teilten noch 7000 Firmen mit weniger als je einem Prozent Anteil den Weltmarkt unter sich auf. Metz hält dem Treiben der Multis die von den Bauern kultivierte Vielfalt entgegen. 
Durch das geplante Gesetz soll nun jedoch das erste Glied der Nahrungskette privatisiert und der Bauer oder die Bäuerin verpflichtet werden, alljährlich Saatgut zu kaufen. Der Kampf dagegen ist längst nicht mehr nur eine landwirtschaftliche Frage, sondern ein akutes Gesellschaftsthema – nicht nur in Frankreich.
 

Präzedenzfall Kokopelli

Die Verhandlungen zu einer neuen EU-Saatgutgesetzordnung sind im Gang, und einige Lobbyisten wollen auch hier den Vertrieb nicht registrierter alter Erhaltungssorten stark einschränken. Wegweisend für die Bestrebungen der Europäischen Kommission ist der Präzedenzfall »Kokopelli«. Der französische Verein, der seit Ende der 1990er Jahre Saatgut vermehrt und vertreibt, verlor im Juli 2012 einen Prozess gegen die Samen-Firma »Baumaux«; Kokopelli soll Baumaux, so bestätigte der Europäische Gerichtshof, wegen »Desorganisation des Saatgutmarkts« – konkret wegen des Verkaufs alter Sorten, die nicht im offiziellen GNIS-Samenkatalog registriert waren – 100 000 Euro Schadensersatz zahlen. 
 

Restriktive Zulassungsbedingungen für vielfältige Sorten

Anfang März dieses Jahres wurde die im Mai 2013 von der EU-Kommission vorgeschlagene »Verordnung zur Erzeugung von Pflanzenvermehrungsmaterial und dessen Bereitstellung auf dem Markt« vom europäischen Parlament mit 511 zu 130 Stimmen entschieden zurückgewiesen. 80 Prozent der Parlamentarier sprachen sich für eine verbindliche legislative Entscheidung aus. Die EU-Kommission soll nun einen neuen Gesetzesvorschlag erarbeiten.
Dieses Abstimmungsergebnis ist auch diversen Kampagnen zu verdanken, beispielsweise der im November eingereichten deutschen Petition »Saatgutvielfalt in Gefahr – gegen eine EU-Saatgutverordnung zum Nutzen der Saatgut-Industrie«. Darin heißt es, eine neue EU-Saatgutverordnung müsse geeignete Voraussetzungen für Vielfaltssorten, bäuerliche Sorten und Öko-Züchtungen schaffen. Vielfaltssorten sollten nicht nur in Genbanken, sondern ohne bürokratische Hürden auch auf dem Markt verfügbar sein. Deshalb fordert die Petition eine Aufhebung der amtlichen Zulassungspflicht.
Bei den derzeitigen Zulassungsbedingungen für den Sortenkatalog gilt das »DUS«-Prinzip: Die Sortendefinition hängt von den drei Kriterien »Distinctness« (Unterscheidbarkeit), »Uniformity« (Homogenität) und »Stability« (Unveränderlichkeit) ab. Das DUS-Prinzip verkörpert die Zuchtziele der Saatgut-Industrie: geringe Variabilität über die Zeit, geringe Populationsdichte – das heißt: ­immer weniger bzw. schwindende natürliche Fortpflanzungsgemeinschaften – sowie scharfe Abgrenzung zu anderen Sorten.
Diesen Kriterien stehen die vielfältigen alten bäuerlichen Sorten gegenüber, die nicht in ein Zuchtkorsett gezwungen werden wollen. Aktuell gelten die 2009 bestimmten, sehr einschränkenden EU-Richtlinien zu Erhaltungs- und Amateursorten, die in Deutschland in einer Verordnung umgesetzt wurden. Die EU verhindert damit, dass Erhaltungssorten unkompliziert verbreitet werden können. Andreas Riekeberg von der Kampagne für Saatgut-Souveränität schreibt: »Nun wird es darauf ankommen, das gegenwärtige – durchaus auch restriktive EU-Saatgutrecht – den Erfordernissen der Erhaltung und Ausweitung der Sortenvielfalt anzupassen.« Er fordert einen »vernünftigen Rechtsrahmen«.
 

Die Vielfalt einer ganzen Region erhalten

Yves Giraud und das Kollektiv der Samenvermehrer aus dem Lodévois-Larzac-Gebiet verfolgen diese Entwicklung und bauen parallel Alternativen auf. Sie organisieren nicht nur Saatgutfeste – am 18. Mai steht schon wieder eines an –, sondern sind seit mehreren Jahren damit beschäftigt, ein Saatguthaus auf die Beine zu stellen. Ein Dutzend Gemüsebäuerinnen und Amateurgärtner aus der Region trifft sich regelmäßig, um gemeinsam Strategien zu erarbeiten, die auf Dauer die Biodiversität nicht nur in und um Lodève und dem Larzacgebiet, sondern bis weit ins Haut Languedoc und Minervois hinein bewahren sollen. Alljährlich tauschen sie kultiviertes Saatgut untereinander, wobei seit diesem Jahr auch koordiniert wird, welche Sorten in dieser Saison wo und durch wen vermehrt werden.
Zurück auf die Teller der Lokalbevölkerung und in ihr Bewusstsein hat so nicht nur die milde Zwiebel gefunden, sondern auch der grün-braun gefleckte Blattsalat »Moucheté de Salasc«. 

Quelle
Oya – anders denken. anders leben, Ausgabe 26
http://www.oya-online.de/article/read/1324-vermehrt_samen_und_vielfalt_nicht_probleme.html

Autor
Pascal Mülchi
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Kategorien: Humusrevolution